Zur sekundären Beweislast des Frachtführers bei Verlust des Transportguts

BGH, Urteil vom 03.03.2011 – I ZR 50/10

Der Frachtführer kommt der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast bei einem Verlust des Transportgutes im Allgemeinen nicht nach, wenn er nur den Ort des Sendungsverlusts (hier: Flughafen New York) benennt, ohne Angaben zu den beteiligten Personen, zum Organisationsablauf des Transports, zu Schadensverhütungsmaßnahmen und zu etwaigen Nachforschungen zum Verbleib der Sendung zu machen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 24. Februar 2010 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.


Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Transportversicherer der B. GmbH in N. / Deutschland (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt das beklagte Speditionsunternehmen wegen des Verlustes von Transportgut aus übergegangenem und abgetretenem Recht der Versicherungsnehmerin auf Schadensersatz in Anspruch.

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Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte im April 2007 zu festen Kosten mit dem Transport eines Pakets, das Chemikalien im Wert von 27.819,44 € enthielt, von Hamburg nach Philadelphia/USA. Mit der Luftbeförderung von Hamburg nach Philadelphia wurde die Scandinavian Airlines (im Weiteren: SAS) beauftragt. Die Beklagte stellte für den Transport einen Luftfrachtbrief (Air Waybill) aus, in dem sie die Versicherungsnehmerin als „Shipper“ bezeichnete. Das von der Niederlassung der Beklagten in Hamburg in Empfang genommene Gut ging während des Transports verloren. Auf welchem Beförderungsabschnitt der Verlust eintrat, ist zwischen den Parteien streitig.

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Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, bei dem zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten geschlossenen Beförderungsvertrag handele es sich um einen Multimodalvertrag. Die Beklagte schulde für den Verlust des Gutes gemäß §§ 452, 425 Abs. 1, § 435 HGB vollen Schadensersatz, da sie die konkreten Umstände des Verlustes noch nicht einmal ansatzweise habe darlegen können. Aber auch bei einem Verlust des Pakets während der Luftbeförderung hafte die Beklagte entweder nach Art. 18 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 WA 1955 oder gemäß Art. 18 Abs. 1 MÜ in Verbindung mit Art. 25 MÜ und Nr. 27.2 ADSp unbeschränkt, da von einem qualifizierten Verschulden der Beklagten auszugehen sei. Die ADSp seien in das zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten zustandegekommene Vertragsverhältnis einbezogen worden.
Die Klägerin hat die Beklagte daher auf Zahlung von 27.819,44 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.

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Die Beklagte hat ihre Passivlegitimation in Abrede gestellt. Sie hat weiter geltend gemacht, da der Schadensort sich auf den Bereich des Flughafens New York eingrenzen lasse, richte sich ihre Haftung nach den Vorschriften des Montrealer Übereinkommens. Danach sei ihre Haftung auf 17 Sonderziehungsrechte für jedes fehlende Kilogramm der Sendung begrenzt. Eine weitergehende Haftung ergebe sich nicht aus Art. 25 MÜ in Verbindung mit Nr. 27.2 ADSp. Die ADSp seien schon nicht wirksam in den mit der Versicherungsnehmerin geschlossenen Vertrag einbezogen worden. Im Übrigen sei ein zwingender Vorrang des Montrealer Übereinkommens gegenüber den ADSp anzunehmen.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

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Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihr Begehren auf Abweisung der Klage weiter.


Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht eine unbeschränkte Haftung der Beklagten für den streitgegenständlichen Verlust des Transportgutes bejaht. Dazu hat es ausgeführt:

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Die Beklagte sei passivlegitimiert, da sie den ihr von der Versicherungsnehmerin zu festen Kosten erteilten Speditionsauftrag angenommen habe. Es könne offenbleiben, aufgrund welchen Frachtführerrechts die Beklagte für den eingetretenen Verlust hafte. Bei allen in Betracht kommenden Vorschriften (§§ 452, 425 Abs. 1, § 435 HGB; Art. 18 Abs. 1, Art. 25 WA 1955; Art. 18 Abs. 1, Art. 25 MÜ in Verbindung mit Nr. 27.2 ADSp) schulde die Beklagte vollen Schadensersatz, da sie die ihr obliegende sekundäre Darlegungslast nicht erfüllt habe und ihr daher ein qualifiziertes Verschulden anzulasten sei.

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Eine unbeschränkte Haftung der Beklagten ergebe sich auch dann, wenn ihre Schadensersatzpflicht sich nach den Vorschriften des Montrealer Übereinkommens beurteile. Die Beklagte könne sich nicht mit Erfolg auf den Haftungshöchstbetrag gemäß Art. 22 Abs. 3 MÜ berufen, weil sie darauf durch die Einbeziehung von Nr. 27.2 ADSp in den mit der Versicherungsnehmerin geschlossenen Vertrag verzichtet habe. Ein derartiger Verzicht sei aufgrund der in

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Art. 25 MÜ enthaltenen Öffnungsklausel möglich. Die Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Schadens habe die Beklagte nicht angegriffen.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision sind unbegründet. Das Berufungsgericht ist mit Recht von einer unbeschränkten Haftung der Beklagten für den Verlust des Transportgutes ausgegangen. Auf der Grundlage des Hauptvorbringens der Klägerin ergibt sich die unbegrenzte Haftung der Beklagten aus §§ 452, 425 Abs. 1, § 435 HGB, weil danach der Schadensort nicht feststeht und die Beklagte ein qualifiziertes Verschulden trifft. Wird der rechtlichen Beurteilung des Streitfalls der Vortrag der Beklagten zugrunde gelegt, den sich die Klägerin hilfsweise zu eigen gemacht hat – danach ist der Verlust des Transportgutes auf dem Flughafen in New York eingetreten -, so folgt die unbeschränkte Haftung der Beklagten aus Art. 18 Abs. 1, Art. 25 MÜ in Verbindung mit Nr. 27.2 und Nr. 23.1.2 ADSp (2003).
1. Das Berufungsgericht hat die Beklagte mit Recht als passivlegitimiert angesehen.

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Die Revision rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe bei seiner Beurteilung außer Acht gelassen, dass die Beklagte unter Hinweis auf die Bezeichnung der Versicherungsnehmerin als Absenderin, der Beklagten als deren Vertreterin und der SAS als Luftfrachtführerin im Luftfrachtbrief (Anlage K 6) dargelegt habe, dass der Luftbeförderungsvertrag unmittelbar zwischen der Versicherungsnehmerin und der SAS zustandegekommen sei.

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Die Revision lässt insoweit unberücksichtigt, dass die Klägerin die Beklagte nicht aus dem Luftfrachtvertrag, sondern aus einem von der Versicherungsnehmerin mit der Beklagten geschlossenen Speditionsvertrag auf Schadensersatz in Anspruch nimmt. Das Landgericht hat seinen tatbestandlichen Feststellungen als unstreitig zugrunde gelegt, dass zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten ein Speditionsvertrag zu festen Kosten geschlossen worden ist. Das Berufungsgericht, das auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen hat, ist ebenfalls vom Zustandekommen eines Speditionsvertrags zu festen Kosten zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten ausgegangen. Grundlage dieser Feststellungen ist der schriftliche Auftrag der Versicherungsnehmerin an die Beklagte vom 20. April 2007 (Anlage K 4) über die Beförderung der fraglichen Sendung von der Niederlassung der Beklagten nach Philadelphia/USA zu der angebotenen Frachtrate („Frachtrate: gem. Offerte“). Die Feststellung, dass mit der Annahme des Speditionsauftrags durch die Beklagte ein Speditionsvertrag zu festen Kosten mit der Versicherungsnehmerin geschlossen wurde, hat die Revision nicht in Frage gestellt. Die Beklagte hat damit nach § 459 HGB die Rechte und Pflichten eines Frachtführers (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 2009 – I ZR 60/06, TranspR 2009, 262 Rn. 32 = NJW-RR 2009, 1335). Daher kommt es nicht darauf an, dass das Berufungsgericht auch den Luftfrachtbrief (Anlage K 6) in seine Beurteilung einbezogen und die Revision daran anknüpfend gerügt hat, dem in englischer Sprache abgefassten Luftfrachtbrief lasse sich nicht mit der gebotenen Sicherheit die Vereinbarung eines Fixkostentransports entnehmen, aufgrund dessen die Beklagte wie ein Luftfrachtführer hafte.
2. Auf den zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten geschlossenen Vertrag kommt nach Art. 28 Abs. 4 Satz 1 EGBGB grundsätzlich deutsches Sachrecht zur Anwendung, weil die Beklagte ihren Sitz in Deutschland hat und sich hier auch der Verladeort befunden hat. Aus der Gesamtheit der Umstände ergibt sich nicht, dass der Vertrag mit einem anderen Staat als Deutschland engere Verbindungen aufweist (Art. 28 Abs. 5 EGBGB).

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Da es sich bei der streitgegenständlichen Beförderung um einen Multimodaltransport handelte – die Beförderung des Gutes von der Versicherungsnehmerin zur Empfängerin sollte mit verschiedenartigen Beförderungsmitteln (Lkw und Flugzeug) erfolgen -, kommt grundsätzlich § 452 HGB zur Anwendung. Nach Satz 1 dieser Vorschrift unterliegt ein derartiger Vertrag den §§ 407 ff. HGB, sofern anzuwendende internationale Übereinkommen nichts anderes vorschreiben. Für eine gemischte Beförderung, die zum Teil durch Luftfahrzeuge und teilweise durch andere Verkehrsmittel ausgeführt wird, bestimmt Art. 38 Abs. 1 MÜ, dass für die Luftbeförderung das Übereinkommen (vorbehaltlich der Regelungen in Art. 18 Abs. 4 MÜ) gilt. Demgemäß richtet sich die Haftung des Luftfrachtführers für den Verlust von Transportgut nach den Vorschriften des Montrealer Übereinkommens, wenn der Schaden während der Obhutszeit des Luftfrachtführers eingetreten ist (Art. 18 Abs. 1 und 3 MÜ).
3. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zu der Frage getroffen, auf welchem Beförderungsabschnitt der Verlust des Gutes eingetreten ist. Es hat angenommen, die Beklagte hafte für den von ihr durch qualifiziertes Verschulden verursachten Schaden auch dann gemäß Art. 18 Abs. 1, Art. 25 MÜ in Verbindung mit Nr. 27.2 und Nr. 23.1.2 ADSp unbeschränkt, wenn das Gut – wie von der Beklagten behauptet – während der Luftbeförderung abhanden gekommen sei. Durch die Einbeziehung der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen in den Vertrag habe die Beklagte nach Nr. 27.2 ADSp auf den Haftungshöchstbetrag gemäß Art. 22 Abs. 3 MÜ verzichtet. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

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a) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Verlust des Transportgutes durch ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten verursacht worden ist, weil sie ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Liege der im Verantwortungsbereich des Frachtführers eingetretene Schadensfall – wie hier – im Dunkeln, obliege dem Frachtführer die Darlegung von Umständen, die seines Wissens zur Entstehung des Schadens geführt hätten. Dementsprechend sei der Frachtführer insbesondere verpflichtet, die beteiligten Personen zu benennen, den Organisationsablauf offenzulegen und darzustellen, welche Schadensverhütungsmaßnahmen er oder seine Hilfspersonen getroffen hätten. Diesen Anforderungen genüge der Vortrag der Beklagten nicht.

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aa) Die Revision rügt demgegenüber, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass der Schaden durch ein bewusst leichtfertiges Handeln der Beklagten im Sinne von § 435 HGB verursacht worden sei. Der Anspruchsteller müsse die Voraussetzungen für einen Wegfall der zugunsten des Frachtführers bestehenden Haftungsbegrenzungen darlegen und beweisen. An einem entsprechenden Vortrag der danach darlegungspflichtigen Klägerin fehle es vollständig. Sie habe nicht dargelegt, dass die Beklagte leichtfertig und im Bewusstsein eines wahrscheinlichen Schadenseintritts gehandelt habe. Das Berufungsgericht habe verkannt, dass der Luftfrachtführer erst dann gehalten sei, ein mögliches Informationsdefizit des Anspruchstellers durch detaillierten Sachvortrag über den Ablauf der Beförderung auszugleichen, wenn dieser das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des § 435 HGB dargetan habe. Bei seiner Annahme, die Beklagte habe der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht in ausreichendem Maße genügt, habe das Berufungsgericht zudem unter Verstoß gegen § 286 ZPO außer Acht gelassen, dass die Beklagte den Sendungsverlauf des abhanden gekommenen Pakets im Einzelnen dargelegt und durch Vorlage der Anlage B 3 urkundlich belegt habe. Danach sei das Packstück im Gewahrsam der SAS auf dem Flughafen New York abhanden gekommen.

bb) Dieses Vorbringen verhilft der Revision ebenfalls nicht zum Erfolg. Der Anspruchsteller hat grundsätzlich die Voraussetzungen für den Wegfall der zugunsten des Frachtführers bestehenden gesetzlichen oder vertraglichen Haftungsbegrenzungen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Danach trägt er die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Frachtführer oder seine Leute vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein gehandelt haben, es werde mit Wahrscheinlichkeit ein Schaden eintreten (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 – I ZR 154/07, TranspR 2010, 78 Rn. 16 = VersR 2010, 648 mwN). Dem Prozessgegner der beweisbelasteten Partei können aber ausnahmsweise nähere Angaben über die zu seinem Wahrnehmungsbereich gehörenden Verhältnisse zuzumuten sein, wenn die primär darlegungspflichtige Partei – wie im Streitfall – außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und keine Kenntnisse von den näheren Umständen des Schadensfalls hat, während der Schädiger nähere Angaben machen kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2000 – I ZR 135/98, BGHZ 145, 170, 184 f.; Urteil vom 5. Juni 2003 – I ZR 234/00, TranspR 2003, 467, 470 = NJW 2003, 3626; BGH, TranspR 2009, 262 Rn. 27).

Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Beklagte der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht im erforderlichen Umfang nachgekommen ist. Ihr Vortrag hat sich darauf beschränkt, dass der Verlust der Sendung auf dem Flughafen New York eingetreten sei. Angaben zu den beteiligten Personen, zum Organisationsablauf des Transports, zu Schadensverhütungsmaßnahmen der Beklagten oder der von ihr eingesetzten Hilfspersonen sowie zu etwaigen Nachforschungen zum Verbleib der Sendung fehlen vollständig. Dies rechtfertigt den Schluss auf das objektive Tatbestandsmerkmal der Leichtfertigkeit wie auch auf das subjektive Erfordernis des Bewusstseins von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (vgl. BGH, TranspR 2003, 467, 470 f.; TranspR 2009, 262 Rn. 27).

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b) Das Berufungsgericht ist des Weiteren davon ausgegangen, dass sich die unbeschränkte Haftung der Beklagten aus Art. 18 Abs. 1, Art. 25 MÜ in Verbindung mit Nr. 27.2 und Nr. 23.1.2 ADSp ergibt, wenn der Verlust des Gutes – wie von der Beklagten behauptet – während der Luftbeförderung im Sinne von Art. 18 Abs. 1 und 3 MÜ eingetreten ist.

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aa) Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft keine Feststellungen dazu getroffen, ob das Übereinkommen auf den streitgegenständlichen Schadensfall überhaupt zur Anwendung komme.

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bb) Auch damit vermag die Revision nicht durchzudringen. Nach Art. 1 Abs. 1 MÜ gilt das Übereinkommen für jede internationale Beförderung von Gütern, die durch Luftfahrzeuge gegen Entgelt erfolgt. Als „internationale Beförderung“ ist gemäß Art. 1 Abs. 2 MÜ jede Beförderung anzusehen, bei der nach den Vereinbarungen der Parteien der Abgangsort und der Bestimmungsort in den Hoheitsgebieten von zwei Vertragsstaaten liegen. Der Transport des abhanden gekommenen Pakets sollte von Deutschland in die Vereinigten Staaten von Amerika erfolgen. Sowohl Deutschland als auch die Vereinigten Staaten von Amerika haben das Übereinkommen vor Abschluss des zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten im April 2007 zustandegekommenen Vertrags ratifiziert (vgl. Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, BGBl. II 2004, 1371 f.; Pokrant in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., Vor Art. 1 MÜ Rn. 67). Gemäß Art. 55 Abs. 1 MÜ geht das Montrealer Übereinkommen damit allen Vorschriften vor, die für die Beförderung im internationalen Luftverkehr gelten.
c) Ohne Erfolg bleiben auch die Angriffe der Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe durch Einbeziehung von Nr. 27.2 ADSp in den mit der Versicherungsnehmerin geschlossenen Speditionsvertrag gemäß Art. 25 MÜ auf den in Art. 22 Abs. 3 MÜ normierten Haftungshöchstbetrag verzichtet.

aa) Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass die ADSp Bestandteil des zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten zustandegekommenen Speditionsvertrags zu festen Kosten geworden sind. Dagegen erinnert die Revision auch nichts. Damit sind Nr. 27 und Nr. 23.1.2 ADSp Vertragsinhalt geworden.

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bb) Die Revision macht vergeblich geltend, die Haftungsbeschränkung gemäß Art. 22 Abs. 3 MÜ gelte auch dann, wenn die ADSp Bestandteil des zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten geschlossenen Vertrags geworden seien.
Der Senat hat nach Verkündung des Berufungsurteils entschieden, dass Nr. 27.2 ADSp einen Verzicht auf die Haftungshöchstbeträge im Sinne von Art. 25 MÜ darstellt, wenn die ADSp in den mit dem Luftfrachtführer geschlossenen Beförderungsvertrag einbezogen worden sind (BGH, Urteil vom 22. Juli 2010 – I ZR 194/08, TranspR 2011, 80 Rn. 35 ff.).

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(1) Nach Art. 25 MÜ kann sich ein Luftfrachtführer im Beförderungsvertrag höheren als den im Montrealer Übereinkommen vorgesehenen Haftungshöchstbeträgen unterwerfen oder auf Haftungshöchstsätze verzichten. Aus Art. 1 MÜ ergibt sich, dass auch Fixkostenspediteure – wie die Beklagte – zu den Luftfrachtführern zählen (BGH, TranspR 2011, 80 Rn. 31; Koller, Transportrecht, 7. Aufl., Art. 1 MÜ Rn. 2 und Art. 1 WA 1955 Rn. 4; Pokrant aaO Art. 1 MÜ Rn. 4; MünchKomm.HGB/Ruhwedel, 2. Aufl., Art. 1 MÜ Rn. 22). Auf der Grundlage des Art. 25 MÜ hat die Versicherungsnehmerin mit der Beklagten die Geltung der ADSp vereinbart. Damit ist auch Nr. 27.2 ADSp Vertragsinhalt geworden.

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(2) Gemäß Nr. 27.2 ADSp gelten die in diesem Regelwerk enthaltenen Haftungsbefreiungen und -begrenzungen (siehe insbesondere Nr. 23 und Nr. 24 ADSp) nicht, wenn der Schaden in den Fällen der §§ 425 ff., 461 Abs. 1 HGB durch den Spediteur oder die in §§ 428, 462 HGB genannten Personen vorsätzlich oder leichtfertig und in dem Bewusstsein verursacht worden ist, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor, da der Beklagten nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ein qualifiziertes Verschulden zur Last fällt (siehe dazu II 3 a).

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(3) Anders als die Revision meint, steht der Wortlaut von Nr. 27.2 ADSp der Anwendbarkeit dieser Regelung nicht entgegen. Zwar verweist Nr. 27 ADSp lediglich auf die „vorstehenden Haftungsbefreiungen und -begrenzungen“ und nennt nur Bestimmungen im Handelsgesetzbuch, während Vorschriften des Montrealer Übereinkommens dagegen nicht erwähnt werden. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass durch die Bestimmung der Nr. 23.1.2 ADSp, bei der es sich um eine „vorstehende Haftungsbegrenzung“ im Sinne von Nr. 27 ADSp handelt, der ersatzfähige Schaden, der an dem Gut während des Transports mit einem Beförderungsmittel eingetreten ist, auf den für dieses Beförderungsmittel gesetzlich festgesetzten Haftungshöchstbetrag begrenzt wird, im Falle einer Luftbeförderung mithin gerade auf den in Art. 22 Abs. 3 Satz 1 MÜ festgelegten Betrag von 17 Sonderziehungsrechten je Kilogramm. Aufgrund der Verweisung in Nr. 23.1.2 ADSp ist die in Art. 22 Abs. 3 Satz 1 MÜ angeordnete Haftungsbegrenzung zugleich eine „vorstehende Haftungsbegrenzung“ im Sinne von Nr. 27 ADSp geworden, die unter den im Streitfall erfüllten Voraussetzungen von Nr. 27.2 ADSp nicht gilt. Danach ist Nr. 27.2 ADSp als ein Verzicht des Luftfrachtführers auf die Haftungshöchstbeträge im Sinne der Öffnungsklausel des Art. 25 MÜ zu qualifizieren, der auch durch Allgemeine Geschäftsbedingungen des Luftfrachtführers in den Beförderungsvertrag eingeführt werden kann (BGH, TranspR 2011, 80 Rn. 37; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. März 2008 – 18 U 160/07, juris Rn. 30 f.; AG Hamburg, TranspR 2007, 328, 329 f.; Münch-Komm.HGB/Ruhwedel aaO Art. 25 MÜ Rn. 4; aA Koller aaO Art. 25 MÜ Rn. 1; Boettge, TranspR 2007, 306, 308; Bahnsen in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn aaO Nr. 27 ADSp Rn. 25; ders., TranspR 2010, 19, 22; Vyvers, VersR 2010,
1554; siehe auch OLG Hamburg, TranspR 2008, 213, 218 zu § 660 Abs. 1 HGB und Nr. 27.2 ADSp).

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Dem Umstand, dass in Nr. 27.2 ADSp allein die §§ 425, 461 Abs. 1 HGB angesprochen sind, kann nicht die Einschränkung entnommen werden, dass Haftungsbefreiungen und -begrenzungen nur dann entfallen sollen, wenn sich die Haftung ausschließlich nach den Vorschriften des Handelsgesetzbuches richtet (BGH, TranspR 2011, 80 Rn. 37; OLG Düsseldorf, juris Rn. 40 f.; AG Hamburg, TranspR 2007, 328, 329 f.; MünchKomm.HGB/Ruhwedel aaO Art. 25 MÜ Rn. 4). Gemäß Nr. 2.1 ADSp gelten die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen für alle Arten von Verkehrsverträgen, gleichgültig, ob sie Speditions-, Fracht-, Lager- oder sonstige üblicherweise zum Speditionsgewerbe gehörende Geschäfte betreffen. Im Streitfall wurde die Geltung der ADSp für die Rechtsbeziehung zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten vereinbart. Soweit – wie im vorliegenden Fall – der Vertrag dem deutschen Sachrecht unterliegt, ist er bei einer Fixkostenvereinbarung gemäß § 459 HGB den Regeln des Montrealer Übereinkommens unterworfen (BGH, TranspR 2011, 80 Rn. 31; Koller aaO Art. 1 MÜ Rn. 2 und Art. 18 WA 1955 Rn. 4; Pokrant aaO Art. 1 MÜ Rn. 4; MünchKomm.HGB/Ruhwedel aaO Art. 1 MÜ Rn. 22). Damit ist auch der Bezug zu den in Nr. 27.2 ADSp angesprochenen §§ 425 ff. HGB gegeben.

Der Anwendung von Nr. 27.2 ADSp steht auch nicht Nr. 2.5 ADSp entgegen, in der vorgeschrieben ist, dass zwingende gesetzliche Bestimmungen den Regelungen in den Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen vorgehen. Die Vorschrift des Art. 25 MÜ sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass der Luftfrachtführer sich im Beförderungsvertrag höheren als den im Montrealer Übereinkommen vorgesehenen Haftungshöchstbeträgen (hier: Art. 22 Abs. 3 MÜ) unterwerfen oder auf Haftungshöchstbeträge verzichten kann. Soweit eine Haftungserweiterung zugunsten des Vertragspartners des Luftfrachtführers vereinbart wird, ist diese grundsätzlich zulässig und nicht gemäß Art. 26 MÜ unwirksam.

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4. Aufgrund des wirksamen Verzichts auf den Haftungshöchstbetrag des Art. 22 Abs. 3 MÜ haftet die Beklagte wegen qualifizierten Verschuldens unbeschränkt. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der durch den Verlust des Pakets entstandene Schaden – wie von der Klägerin dargelegt – 27.819,44 € beträgt. Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Die Revision rügt zwar, die Geltendmachung einer unbeschränkten Haftung der Beklagten sei treuwidrig im Sinne von § 242 BGB, weil die Versicherungsnehmerin in dem der streitgegenständlichen Beförderung zugrunde liegenden Auftrag (Anlage K 4) gegenüber der Beklagten ausdrücklich erklärt habe, „wir verzichten auf eine Versicherung Ihrerseits“. Dadurch habe die Versicherungsnehmerin zum Ausdruck gebracht, dass sie kein Interesse daran habe, die Beklagte bei einem Verlust der Sendung über die vorgegebenen Haftungshöchstsummen hinaus in Anspruch zu nehmen. Mit diesem neuen Vortrag kann die Revision gemäß § 559 Abs. 1 ZPO kein Gehör mehr finden. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, warum die Beklagte gegen Treu und Glauben verstoßen soll, wenn sie sich auf das gesetzliche und vertraglich vereinbarte Haftungsregime verlässt.

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III. Danach ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

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